Sippenverband Fü(h)rer e.V.

Unser Stammvater:
Brückenbaumeister Johann Michael Führer + 1720 zu Minden

Unser Stammvater, Johann Michael Führer, * etwa 1680 bis +1720,  zu Minden, war Steinbruchsbesitzer in Haus Berge an der Porta Westphalica, Baumeister (Enterpreneur) in Minden/Westfalen und erbaute die erste steinerne Weserbrücke in Nienburg (1715 - 1717), die 1903 abgerissen wurde, um dem gewachsenen Schiffsverkehr auf der Weser nicht zu behindern. Die Bauarbeiten an der Weserbrücke sind in einer Biografie dargestellt, die unter dem Titel "Johann Michael Fürer (+1720), Forschungsergebnisse" von Prof. Dr. Ing. Gotthard Fürer im Selbstverlag des Sippenverbandes Fü(h)rer e.V., Kassel veröffentlicht worden sind (1958, 2. Aufl. 1998, 3. Aufl. 2001, 2nd English Edition 2007).

Wegen geänderter Bauplanung (auftraggeberseitig geänderter Bauriss) und verschiedener Unglücke überstiegen die Baukosten den Kosten- voranschlag von JMF. Johann Michael Führer konnte nicht genügend Geld vorschießen, um den Brückenbau über die Weser weiter voranzutreiben und verschuldete sich hoch. Interventionen und Audienzen beim König von England George I und zugleich Herrscher in Hannover brachten keinen Erfolg. Schließlich zog Johann Michael Führer vor Gericht. Er starb am 12.12.1720 noch vor einem Erfolg der Klage.

Fünf Jahre später hatte seine Witwe einen späten gerichtlichen Erfolg und bekam die vorgeschossenen Kosten zugesprochen, allerdings ohne, dass ihr die aufgelaufenen Zinsen erstattet wurden.

Ein möglicherweise wegweisendes Urteil für das Bauvertragswesen, das bei bauherrnseitig geänderter Planung eine Preisrevision für Zusatzarbeiten zuließ. Da das Urteil des Ober-Appellationsgerichtes im Jahre 1725 nach heutiger Erkenntnis im 2. Weltkrieg dem Feuer zum Opfer gefallen ist, können wir über die juristische Begründung des Urteils des Ober-Appelationsgerichtes nur spekulieren.


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Johann Michael Führer († 1720)
Forschungsergebnisse


von


Gotthard Fürer


3. Auflage 2001
Herausgeber: Sippenverband Fü(h)rer e.V., Kassel

© Sippenverband Fü(h)rer e.V., Kassel, 2001

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Vorwort


Die jetzt noch in Oberhessen-Waldeck ansässige Familie stammt nachweislich von einem Johann Michael Führer aus Minden Weser ab. Der Sippenverband Fü(h)rer e.V., Kassel , hat sich in den letzten Jahrzehnten darum bemüht, der Lebensgeschichte ihres Stammvaters nachzuforschen in der Hoffnung, vielleicht dadurch um weitere Generationen die Vergangenheit der Familie aufzuklären. Dieses Ziel ist bisher nicht erreicht worden, aber es ist immerhin dabei viel Wissenswertes über das Leben von Johann Michael Führer ans Licht gekommen. Was die Urkunden erzählen, soll im folgenden berichtet werden.

Kassel, 1958


Gotthard Fürer

Vorwort zur 3. Auflage


Im Jahre 1906 hatte Prof. Justus Fürer, Corbach, mit „Friedrich Wilhelm Führer, ein Leben in Unruhe“ (1,1)*) begonnen, die Geschichte der Familie Fü(h)rer, in einzelnen Lebensbildern für die Nachwelt festzuhalten.

Diesen Faden, Biographien über die männlichen Namensträger der Familie Fürer zu schreiben, hat der Verfasser, Prof. Gotthard Fürer, Goslar, 1958 mit der Herausgabe des Buches “Johann Michael Führer († 1720), Forschungsergebnisse” nach rund 50 Jahren Pause wieder aufgenommen. Den Bemühungen und der intensiven Forschung von Gotthard Fürer verdanken wir, daß wir heute mehr aus dem Leben unseres Stammvaters erfahren - fast dreihundert Jahre nach seinem Ableben - und so an seiner Lebensgeschichte teilhaben können.

Diesem Werk folgte im Jahre 1961 das “Lebensbild des Metropolitans Julius Emilius Fürer (*1803 †1878)“ (1,166) in dem ein Kapitel sich auch mit der Lebensgeschichte seines Vaters Johann Helfrich Fürer (1,16), des Urenkels von Johann Michael Führer, befaßt. Mit dem Werk über das Leben von Carl Eduard Fürer (1,1661) rundete Gotthard im Jahre 1964 zunächst den Zyklus von Biographien ab.

Im Jahre 2000 vollendete Gotthard Fürer das Lebensbild unseres Großvaters, August Wilhelm Fürer (1,1661 7) des 7. Kindes von Carl Eduard Fürer, sowie seine eigenen „Jugenderinnerungen (1927 - 1947)“.

Im Jahre 1997 hat der Sippenverband Fü(h)rer e. V., Kassel, begonnen, die vorgenannten Werke in überarbeiteten Auflagen neu zu verlegen, um diese einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen. Bislang erschienen neu: Johann Michael Führer (2. Auflage 1998; engl. 1998), Julius Emilius Fürer, 2. Auflage, 2001 sowie das vorliegende Werk.

Meiner lieben Frau Linda sowie meiner Schwester Maria-Luisa (Eisi) danke ich für ihre Geduld und die Arbeit als Lektoren.


Kassel/Lingen, 2001

Hartmuth Fürer

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*) Anmerkung: In unserer Familie verwenden wir ein Kenn-Nummernsystem. Dieses beginnt bei unserem Stammvater Johann Michael Führer mit der Kenn-Nummer (KennNr) 1. Sein erstes Kind, Friedrich Wilhelm Führer, *1714 - †1781, erhält die KennNr 1,1. Für jede weitere Generation kommt eine Ziffer hinzu. Die Anzahl der Ziffern gibt Aufschluß über die Generation. Die letzte Ziffer steht für die Reihenfolge der Kinder in der Familie. Z.B. die Tochter von Johann Michael, Dorothea Magdalena, *1718, ist sein drittes Kind und hat die KennNr 1,3. Ein weiteres Beispiel: Carl Eduard Fürer, *1830 - †1902, hat die KennNr 1,1661 (5 Ziffern = 5. Generation). Er ist das erste Kind von Julius Emilius Fürer (KennNr 1,166). Julius Emilius seinerseits ist das sechste Kind von Johann Helfrich Fürer (KennNr 1,16). Dieser ist das sechste Kind von Friedrich Wilhelm Führer (KennNr 1,1).

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Illustr. 1: Unterschrift von Johann Michael Führer (Staatsarchiv Hannover)


Herkunft, Beruf und Familie von Johann Michael Führer

Wo und wann Johann Michael Führer geboren wurde, liegt im Dunkeln. Wir dürfen annehmen, daß er etwa 1670 - 1680 zur Welt kam. Er gehörte zur protestantischen Kirche und war wahrscheinlich evangelisch-reformiert. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er deshalb aus Niederhessen stammt, aber nachzuweisen war es bisher nicht.

Urkundlich bekannt wurde uns Johann Michael Führer als Steinbruchsbesitzer und vor allem "Enterpressure", auf deutsch Baumeister. Als solcher hatte er sich auf den Brückenbau spezialisiert. Ob Johann Michael auch Brückenbauarchitekt war, ließ sich nicht feststellen. Die Pläne zu der nachweislich von ihm gebauten Nienburger Brücke stammten nicht von ihm.

In den Jahren 1712/13 muß er geheiratet haben. Leider ließ sich aber bisher nicht feststellen, wo. In Nienburg und Minden, den Orten, wo er nachweislich gewohnt hat, konnte eine entsprechende Eintragung in Kirchenbüchern nicht gefunden werden. Auch ist bisher unbekannt, aus welcher Familie seine Frau stammt. Sie unterschrieb leider nur als "Witwe Führer". Es könnte sein, daß sie mit der angesehenen Mindener Familie Detlefsen verwandt ist, die in Minden eine Druckerei besaß . Es kann dies aber auch ein Irrtum sein. Wahrscheinlich hat unsere Ahnfrau wie ihr Töchterlein den Namen Dorothea gehabt.

Zum ersten Mal lernen wir Johann Michael als Baumeister zu Minden kennen. Schon 1711 leitet er dort als Baumeister die Reparatur der schadhaft gewordenen steinernen Weserbrücke zu Minden. Minden, die Festung, gehört in dieser Zeit zum Königreich Preußen.


                                      Illustr. 2: Die alte steinerne Weserbrücke bei Nienburg

Die Reparatur der Weserbrücke ist ein Staatsauftrag, und so muß Johann Michael seine Rechnung der Regierung in Minden einreichen. Der Begriff "Preußisch" war schon immer mit dem Begriff "sparsam" verbunden, zumal zur Zeit des Soldatenkönigs Wilhelm I. So kommt es zu Meinungsverschiedenheiten bei der Kostenabrechnung für die Reparatur- arbeiten. Johann Michael hatte "mit sonderbarem Fleiß" an der Brücke gearbeitet und die gebrochenen Steine selber zuhauen lassen, wofür er billigerweise entschädigt werden wollte.

Der Minister von Ilgen in Cölln an der Spree verlangt über diese Rechnungen und Forderungen ein Gutachten der Regierung zu Minden. Er erhält es von dem Mindener Festungsbaumeister General Jeyn de Bodt. Im Gutachten werden die Ansprüche von Johann Michael anerkannt. So gibt der Minister von Ilgen am 16. Februar 1712 der Regierung von Minden den Befehl, die Rechnungen zu begleichen.

Um dieselbe Zeit wendet sich Johann Michael an den Minister von Ilgen mit der Bitte, ihm die Konzession für einen neuen Steinbruch zum Haus Berge zu geben. Haus Berge ist heute ein Städtchen ein paar Kilometer südlich von Minden und zugleich auch eine Bezeichnung für einen Höhenrücken an der "Porta Westfalica". Johann Michael beabsichtigt, dort einen neuen Steinbruch anzulegen. Er verspricht sich von ihm nicht nur einen eigenen Nutzen. Er glaubt auch, daß der Staat daran Interesse haben müsse, weil bisher das Fürstentum Minden gezwungen gewesen ist, seine Bausteine einzuführen. Durch einen Steinbruch im Lande könnten aber Devisen gespart werden. Vielleicht ließe sich der gebrochene Stein vom Haus Berge sogar ausführen.

Der Minister ist ein vorsichtiger Mann. Auf das Gesuch hin verlangt er am 2. Februar 1712 zunächst einmal von der Regierung zu Minden ein Gutachten. Wie aus späteren Unterlagen ersichtlich ist, muß Johann Michael aufgrund des Gutachtens die gewünschte Konzession noch im selben Jahre bekommen haben.

Nun ist Johann Michael Baumeister und Steinbruchsbesitzer, aber sein Ehrgeiz geht höher hinaus. Etwa 1712 richtet er an den Preußischen Minister von Ilgen ein Gesuch um Bestallung als Landbaumeister im Fürstentum Minden und der Grafschaft Ravensberg. Leider wird dieses Gesuch nach Rückfrage bei der Regierung zu Minden am 10. Februar 1713 abgelehnt.

Zwei Gründe führen zur Ablehnung. Wie in ähnlichen Fällen so oft, ist für die Besoldung eines Landbaumeisters in der Staatskasse nicht genügend Geld vorhanden. Auch findet die Regierung zu Minden, daß überhaupt zu wenig Arbeiten an königlichen Gebäuden anfallen, um die Ernennung eines Landbaumeisters zu rechtfertigen.

Um aber Johann Michael doch im Staatsdienst einzusetzen, empfiehlt sie, ihn im Magde- burgischen Brückenbau zu verwenden. Daraus ist aber nichts geworden, vermutlich, weil Johann Michael in Minden bleiben wollte.

Um den Staat für sich zu interessieren, legt Johann Michael in diesem seinem Bestallungsgesuch der Regierung dar: Ich weiß einen Steinbruch, aus dessen Material sich guter Zement zum Nutzen des Landes brennen ließe.

Die Regierung horcht auf. So erhält Johann Michael vom Ministerium die Anweisung, in dieser Sache sein Bestes zu tun, auch wenn er nicht Landbaumeister werden könne. Ob er sich um diese Zementherstellung noch weiter bemüht hat, läßt sich aus den Akten nicht feststellen.

Das Jahr 1713 verstreicht und am 11. März 1714 wird Johann Michael der erste Sohn geboren. Er läßt ihn in der evangelisch-reformierten Petrikirche zu Minden am 12. April auf den Namen Friedrich Wilhelm taufen. In der Namensgebung zeigt sich Johann Michael ganz als patriotischer preußischer Bürger, der seinen König verehrt. Einen Gevatter hat Friedrich Wilhelm laut Taufregister nicht bekommen, was auffällig ist.

Johann Michaels weiterer Lebensweg verbindet ihn eng mit Nienburg und seiner ersten Steinbrücke.


Der Auftrag zum Bau der ersten Nienburger Steinbrücke über die Weser

Inzwischen hat jenseits des preußischen Fürstentums Minden Kurfürst Georg von Hannover aus dem welfischen Fürstenhause als erster seiner Familie den englischen Thron bestiegen.


Illustr. 3 Georg I König von Groß Britannien und Ireland 1714-1727

Als König George I begibt er sich Anfang 1714 mit einem großen Troß auf seine erste Reise nach England. Er kommt dabei durch Nienburg, das seinerzeit hannoversche Festung und der einzige Ort zwischen Preußisch Minden und der Hansestadt Bremen ist, wo der König über eine Holzbrücke die Weser überqueren kann.

Obwohl die Holzbrücke vorher von der Stadt verstärkt worden ist, kommt es auf der Brücke zu Verkehrsstockungen. Der König sieht es und gibt seiner Umgebung den Befehl, Vorbereitungen zu treffen, um eine steinerne Brücke an dieser Stelle auf Staatskosten zu bauen. Es ist dies ein großes königliches Geschenk für die Stadt.

In früheren Jahrhunderten regelte nur eine Fähre den Verkehr über die Weser. Erst 1616 wird eine hölzerne Sommerbrücke, die im Winter wegen des Eisgangs stets vorsorglich abgerissen wurde, über die Weser geschlagen. Kurze Zeit nach dem dreißigjährigem Krieg hat eine Schiffsbrücke den Verkehr bewältigt, um 1663 einer dauernden Holzbrücke zu weichen.


Abb. 2 Die Holzbrücke bei Nienburg (Stich von Merian um 1670 Ausschnitt)

So kommt es 1714 zu den ersten Brückenbau-Verhandlungen und -Plänen. Oberbaumeister Borchmann aus Celle, ein hannoverscher Beamter, entwirft den ersten Bauriß. Die Brücke wird zum Bau ausgeschrieben. Hiervon hört Johann Michael und bietet sich an, die Brücke zu bauen. Anhand des Risses macht er einen Kostenvoranschlag und einen Zeitplan und reicht beides beim Hannoverschen Finanzministerium ein.

Nach einer Aktennotiz dieses Ministeriums (vom 22. April ? 1714) ist der Voranschlag durchaus angemessen. Verhandlungen werden aufgenommen, und so kommt es zu einem Vertrag zwischen Johann Michael, dem Ausländer, und dem Staat Hannover, vertreten durch den Premierminister Freiherr v. Bernstorff. Dieser Vertrag ist von den Juristen auf das Feinste ausgeklügelt. Er setzt voraus, daß Führer eine Kaution von 5.000 Talern stellt. Anhand der greifbaren Urkunden lassen sich noch folgende Vertragseinzelheiten aufzählen:

"Führer verpflichtet sich, die Nienburger Brücke nach dem vorliegenden Bauriß des Oberbaumeisters Borchmann für eine Summe von 24.100 Talern zu bauen. Die Steine liefert er auf eigene Kosten und läßt sie auch behauen. Das notwendige Holz stellt ihm der Staat kostenlos zur Verfügung. Er muß sich verpflichten, jederzeit für 5.000 Taler Material bei der Brücke zu lagern.
Jedes Risiko beim Brückenbau trägt der Baumeister selbst. Für Beschädigungen am Festungswerk und dergleichen, die durch die Brückenbauarbeiten entstehen, hat er selber aufzukommen. Die Erde für die Dämme liefert die Regierung kostenlos."

Über 27 Paragraphen zählt der Vertrag auf.

Johann Michael liest sich alles mehr oder weniger gründlich durch und unterzeichnet ihn. Am 10. August 1714 werden die Vorarbeiten zum Brückenbau in Angriff genommen. Der eigentliche Bau beginnt im Frühjahr 1715. Die Pläne sehen eine moderne Brückenkonstruktion vor. Noch hundert Jahre später wird die Brücke für eine der besten Werke dieser Art im Königreich Hannover gehalten.

Die Brücke ist 420 Fuß lang und 29 Fuß breit. Die fünf Bögen, aus denen sie besteht, haben wegen Vermeidung bedeutender Höhe die Form von Korbbögen. Diese sind, soweit sie einander zu entsprechen haben, nicht ganz von gleicher Größe. Der mittelste hat eine Weite von 72 Fuß 7 Zoll, der nächste links 65 Fuß 3 Zoll, der rechte Bogen 64 Fuß. Von den beiden kleinsten Bögen hat der linke 59 Fuß und der rechte 53 Fuß 6 Zoll  .


Die Brückenbauarbeiten


Mit umfangreichen Dammaufschüttungen zur Absperrung und Umleitung des reißenden Weserflusses beginnen die Brückenbauarbeiten. Tief wird die Brücke durch eingerammte hölzerne Pfähle fundamentiert. Als bereits zwei Pfeiler nebst Widerlagern der Brücke an der Stadt gesetzt und der erste Damm geschlossen ist, händigt Oberbaumeister Borchmann Johann Michael am 31. Juli 1715 einen zweiten, stark geänderten Bauriß aus. Dieser Riß sieht eine Vergrößerung der Brücke vor.


Abb. 3 Die vorstehende Zeichnung der Weserbrücke zu Nienburg, aufgemessen von G. Oldendorp, Landbauverwalter zu Minden zeigt Aufriß und Grundriß der Brücke - mit Bemaßung und Erklärungen - nach dem Wiederaufbau des mittelsten Bogens in Stein (Ansicht von Süden).

Gleichzeitig erhält Johann Michael vom Ministerium und von den eingesetzten Bausachverständigen den Befehl, nach diesem neuen Riß die Brücke weiterzubauen.

Die Baukosten müssen durch diese Vergrößerung wesentlich höher werden. Anstatt sofort einen neuen Vertrag festsetzen zu lassen, versäumt Johann Michael die Kündigung des alten Vertrages. Nur die Brücke im Auge, deren Bau er keinen Tag unbeaufsichtigt lassen will, kümmert er sich nicht um die Rechtslage. Er verläßt sich vielmehr, wie er selber einmal äußert, auf die Gerechtigkeit des Königs. Nichts unternimmt er.

Der neue Riß ist nicht so einfach zu verwirklichen. Die Dämme, die Johann Michael nach dem Fundamentieren der ersten beiden Pfeiler bereits weggerissen hat, müssen neu gesetzt und das Wasser hinter den Dämmen nochmals durch Wassermaschinen herausgepumpt werden. Ganz erhebliche Kosten von über 1.200 Talern laufen hierdurch zusätzlich auf.

Inzwischen ist Johann Michael für die Zeit des Brückenbaues mit seiner kleinen Familie nach Nienburg gezogen.

Der Bau der Brücke geht im Jahre 1715 gut vorwärts. Ab und zu kommt Oberbaumeister Borchmann, besichtigt den Bau und gibt Instruktionen. Die beiden sind sich nicht immer einig. Ab und zu verfährt Johann Michael nach seinem Kopf, ob berechtigt oder nicht, sei dahingestellt. Die Steine für den Bau läßt er in seinem Steinbruch am Haus Berge brechen und mit Schiffen nach Nien¬burg bringen. Eines dieser Schiffe verunglückt vor der Brücke mit einer Ladung Quadersteine. Dieses Mißgeschick kostet Johann Michael 1.000 Taler.


Die Bezahlung Führers beginnt zu stocken


Inzwischen ist es Mai 1716. Wie schon wiederholt, beantragt Johann Michael die nötigen Baugelder bei der Regierung, aber entgegen dem Vertrag werden sie verweigert. Es mag sein, daß die Staatskasse zur Zeit ziemlich leer ist. Welcher Grund könnte sonst für die Verweigerung des Fiskus vorliegen?

Zunächst sieht sich Johann Michael gezwungen, die Brückenbau¬arbeiten wegen Geldmangels zu verlangsamen. Die beste Bauzeit, die Monate Mai, Juni, Juli 1716 verstreichen, bevor die Arbeit wieder verstärkt und beschleunigt aufgenommen werden kann. Aber die Jahreszeit ist schon weit fortgeschritten. Der hohe Wasserstand erschwert und verteuert die Arbeiten. Etliche Dämme brechen und müssen wieder instandgesetzt werden. Auch die Ravelinmauer wird durch Dammbrüche beschädigt. Im Spätherbst stellt Johann Michael die Arbeiten ein, weil der hohe Wasserstand Mensch und Material gefährdet. Der Brückenbau kann dieses Jahr nicht mehr fortgesetzt werden.

Jetzt hat Johann Michael mehr Zeit, und so überprüft er den Baufortschritt und die Baukosten des Jahres 1716. Er kommt zu dem Ergebnis, daß ihm in diesem Jahr allein durch die nicht termingerechten Zahlungen des Staates und die bis in den Herbst hinein erzwungene Bauzeit ein Schaden von 4.000 Talern entstanden ist. Er mußte sogar, um den Bau nicht liegen zu lassen, sein Vermögen und geliehenes Geld in die Brücke investieren. So darf es nicht weiter gehen. Er greift zur Feder und schreibt am 26. Oktober 1716 an den König. Der Brief selber ist nicht mehr vorhanden, aber Johann Michael führt in einem späteren Gesuch noch einmal den Inhalt an:

Zunächst berichtet er seiner Majestät über den Bau. Dann beklagt er sich wegen der nicht termingerecht gezahlten Baugelder und legt dar, welche zusätzlichen Kosten ihm hierdurch und durch den zweiten Riß entstanden sind. Schließlich bittet er um eine unabhängige Kommission aus heimischen und ausländischen Bausachverständigen, Architekten und Ingenieuren, die die Brücke, die Baukosten und die Kosten der erlittenen Schäden überprüfen sollten. Dieser Weg scheint ihm der geeignetste zu sein, um zu seinem Geld zu kommen.

Der König erhält sein Gesuch und entscheidet:

Nicht eine gemischte Kommission, sondern die beiden Hannoverschen Festungsoffiziere Oberst von Welljen und Oberstleutnant Pauli sollen eine Kommission bilden und ein Gutachten aufsetzen.

Inzwischen ist es November 1716 geworden und in den ersten Tagen dieses Monats schenkt Johann Michaels Frau einem kleinen Jungen das Leben. Am 10. November 1716 wird er in der evangelisch-lutherischen Martinskirche in Nienburg auf den Namen Johann Bernhard getauft. Pate wird Johann Bernhard Eden, Stückleutnant in der Festung Nienburg. Eden ist ein lange eingesessener Nienburger Einwohner. Im Laufe der Zeit hatte er sich bis zum Offizier hochgedient und während seiner Ehe viele Kinder gehabt, die ihm aber oft schon in jungen Jahren wieder dahinstarben .


Das Schicksalsjahr 1717

Das Schicksalsjahr 1717 beginnt. Am 20. Januar 1717 erhält Johann Michael die übliche Aufforderung, Kaution zu leisten und eidlich auszusagen. Das scheint eine Verwaltungs- gewohnheit zu sein, wie sie bei größeren Bauprojekten gepflogen wird. Um schon für die neue Bausaison vorzusorgen, erbittet Johann Michael um weitere Baugelder in Höhe von 16.877 Talern. Auch bittet er um Befehl, den Brückenbau fortsetzen zu dürfen. Aber die Geldmittel werden ihm gesperrt mit der Begründung, daß seine Majestät hierzu noch keine Ordré gegeben habe.

Das Hannoversche Finanzministerium hat inzwischen die Zeit genutzt und seine Kostenrechnung aufgestellt. Ihr Ergebnis war, daß der Brückenbau bisher 28.207 Taler gekostet hat, die Johann Michael Führer bereits erhielt. Und nun fordert er noch über 16.000 Taler, wo er die Bausumme von 24.100 Taler längst überschritten hat?

So jedenfalls rechnen die Finanzexperten vom grünen Tische aus und geben der eingesetzten Kommission den Auftrag, die bisherigen Kosten genau zu überprüfen. Sie sollen insbesondere feststellen, wie hoch der Zuschlag auf die Vertragssumme anzusetzen ist, der durch die Änderung des Baurisses von 1715 verursacht wurde. Die Brücke hat den Winter schlecht überstanden. Der mittelste Bogen ist eingebrochen, und die Steine liegen im Flußbett und drohen, die Brücke zu beschädigen. Johann Michael wartet. Schließlich erscheint die vom König eingesetzte Kommission, die mit großer Gründlichkeit zu Werke geht.

Am 13. April 1717 fordert sie Johann Michael auf, eine schriftliche Kostenrechnung vorzulegen. Schon am nächsten Tag liefert sie Johann Michael ab und versucht zu beweisen, daß die Mehrkosten durch den zweiten Riß rund 16.643 Taler ausmachen.

Die Kommission gibt sich hiermit nicht zufrieden, sondern bestellt auf den 15. April 1717 die Nienburger Festungsoffiziere Artilleriekapitän Rodemeyer und Leutnant Eden zur Vernehmung über den Brückenbau. Es ist derselbe Leutnant Eden, der Pate von Johann Bernhard ist.

Zur Vernehmung haben die beiden Kommissare sich einen Fragebogen zusammengestellt, um technische Einzelheiten des Brückenbaues zu untersuchen, die nun an Ort und Stelle nicht mehr nachkontrolliert werden konnten. Es würde zu weit gehen, diesen technischen Fragebogen näher darzulegen.

Eines geht aber klar hervor, daß alle Fragen einerseits das Ziel haben, zu kontrollieren, ob der Bauriß eingehalten wurde, andererseits Gesichtspunkte zu erhalten, warum der mittelste Brückenbogen einstürzen mußte. Bei der Vernehmung ist Kapitän Rodemeyer mit seinen Antworten sehr vorsichtig und mehrfach gibt er an, sich nicht mehr genau erinnern zu können. Leutnant Eden dagegen äußert sich viel bestimmter. Große Widersprüche treten aber trotzdem nicht auf.

Am 16. April geht die Verhandlung weiter. Johann Michael muß erscheinen und wird vernommen. Einige Fragen sind besonders aufschlußreich, weil sie ein gutes Bild von der Verhandlung wiedergeben :

Oberst von Welljen und Oberstleutnant Pauli:
"Warum hat er keine Einwände erhoben gegen den Vertrag von 1714 und sich darauf reserviert?"

Führer:
"Ich habe nichts eingewendet, weil ich mich auf die Generosität der Gegenseite verlassen habe."

Oberst von Welljen und Oberstleutnant Pauli: "Warum hat Er bei der Unterschreibung des Vertrages, den Er schriftlich kannte, nichts eingeworfen?" (Es geht dabei vor allem um den Risikoparagraphen.)

Führer:
"Ich habe die Jura nicht verstanden und wollte nichts ändern. Ich habe mich aber mündlich sowie schriftlich reserviert. . . . Im übrigen fühle ich mich durch den Kontrakt nicht gebunden, weil dieser den ersten Bauriß zu Grunde legt."

Oberst von Welljen und Oberstleutnant Pauli:
„Ob Er den Brückenbau nicht abgeben wolle?"

Führer.:
"Nein, das will ich nicht! Wenn ich hier zur Rechnungslegung gezwungen werde, so erinnere ich, daß hiervon nichts im Vertrag steht."

Aber nicht nur finanzielle, sonder auch technische Fragen stellen die Herren.

Oberst von Welljen und Oberstleutnant Pauli: "Ihre Mehrkosten sind doch Ihr Versehen, Enterpressure Führer!"

Führer: "Wenn das Flußbett gehalten hätte, wäre der Pfeiler nicht gebrochen und die Kosten wären nicht entstanden."

Und weiter: "Warum ist Er vom Bauriß und vom Kontrakt abgegangen?"
Führer:
"Ich bin nicht davon abgegangen. Lediglich habe ich die Brücke etwas höher und die drei untersten Steinschichten nicht quadratisch ausgeführt."

Es wird noch ein weiterer Punkt genannt.

Die Verhandlung endet. Zum Schluß drücken die Kommissare Führer eine Liste mit festgestellten Baufehlern in die Hand und fordern ihn auf, sich hierzu zu äußern.

Schon aus der bisherigen Verhandlung geht hervor, daß die Kom¬mission anscheinend nicht für Johann Michael sondern gegen ihn eingesetzt worden ist.

Am 28. April 1717 schicken die Herren von Welljen und Pauli einen vorläufigen Bericht an das Ministerium in Hannover. Sie kommen nach Darlegung etlicher technischer Fehler zu dem Schluß, daß Johann Michael in drei Punkten den Vertrag verletzt hat und den Instruktionen von Oberbaumeister Borchmann aus eigenem Gutdünken nicht stets gefolgt ist. An den Unglücksfällen, die beim Brückenbau aufgetreten sind, sei er selbst schuld.

In dem abschließenden Gutachten vom 4. Mai 1717 sind die Herren aber etwas vorsichtiger. Sie legen dar:
"Eine ordentliche Kostenrechnung kann Führer nicht erbringen. Die Mehrkosten, die durch den zweiten Riß entstanden sind, belaufen sich auf 4.282 Taler. Insgesamt kann er höchstens 5.797 Taler fordern. Er hat aber bereits 28.207 Taler bekommen, denen berechtigte Forderungen von 29.897 Taler gegenüberstehen. Nach dem augenblicklichen Stand kostet die Brücke bis zur Fertigstellung 20.605 Taler.

Führers Abweichungen vom Bauriß scheinen uns zum Teil bautechnisch berechtigt zu sein. Wir können ihm jedenfalls nicht nachweisen, daß er am Bau nur eigenes Interesse verfolgte, und versuchte, auf unrechte Weise Geld einzunehmen. Zweifellos hat er viel Fleiß aufgewandt. Es steht aber fest, daß Führer mehr Geld verbrauchte, als angesetzt war. Wir sind deshalb der Meinung, daß man entweder Führer einen Bausachverständigen zur Seite stellen oder einen anderen Baumeister den Bau übertragen sollte. Die Zeit drängt. Die Entscheidung muß bald fallen, sonst verstreicht die beste Bauzeit."

Das Gutachten kommt in die Hände des Geheimen Rates zu Hannover. Sicherlich ist es nicht sehr vorteilhaft für Johann Michael. Man kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß vielleicht die einheimischen Bausachverständigen nicht ganz sach¬lich gewesen sind. Diesen Eindruck hat jedenfalls Johann Michael. Er schreibt:

"Nun aber hat mich die gemeine Fatalität, welche alle rechtschaffenen Baumeister betrifft, daß sie beneidet und gehaßt werden, auch noch betroffen."
Das Ministerium arbeitet langsam. Am 23. Juli 1717 erhält der König, der in England in Hampton Court weilt, den ersten Aktenvermerk, dem am 2. August 1717 ein Bericht des Ministerialkollegiums zu Hannover folgt.

Die Berichte, die das Gutachten der Kommissare zugrunde legen, sind von Juristen aufgestellt. Sie stellen in den Vordergrund:

"Die Kostensumme ist überschritten und der Bau wird noch Tausende verbrauchen. Auch ist der Vertrag in mehreren Punkten nicht eingehalten worden. Für die Unglücksfälle beim Bau muß Führer selbst aufkommen. Er ist an ihnen selber schuld, denn er hat sich nicht an die Instruktionen von Borchmann gehalten. Führer hat keinen guten Willen gezeigt und ist unaufrichtig, eigensinnig und widerspenstig. Seine Majestät sollte ihm den Bau nehmen, aber alles von ihm fordern, wozu er sich laut Kontrakt verpflichtet hat.

Vor allem sollte er die Steine liefern. Es versteht sich – kostenlos -, denn er hat ja schon mehr bekommen, als angesetzt war. Im übrigen haben wir Führer kein Geld gegeben, als er den Bau fortsetzen wollte und deshalb gedrängt hat. Wir waren der Meinung, dieses wegen seines "bösen Conduite" nicht verantworten zu können. - Unsere Bausachverständigen können sich über den Weiterbau der Brücke nicht einigen.

Wir haben deshalb den Lübecker Baumeister Petrini gebeten, uns Vorschläge für die wichtigsten Brückenbauarbeiten, die noch dieses Jahr ausgeführt werden müssen, vorzulegen. Das hat er getan, aber die anderen Baumeister stimmen ihm nicht in allen Punkten zu. Mit 8.000 Talern, die wir noch verfügbar haben, können wir die wichtigsten Arbeiten nicht ausführen lassen. Woher sollen wir das andere Geld nehmen?"

Inzwischen sitzt Johann Michael voller Unruhe in Nienburg oder Minden. Die schönste Bauzeit verstreicht. Es ist bereits August.

Auf sein wiederholtes Fragen und seine persönlichen Vorstellungen beim Ministerium erhält er keinen richtigen Bescheid. In dieser Lage schreibt er:
"Man hat mir nicht allein die Bezahlung dessen, was mir zusteht, gesperrt, unter dem Vorwand, daß seine Majestät noch keine Ordré gegeben hat, sondern auch, wie es scheint, mich vom übrigen Bau, was am Werk sofort geschehen muß, überall ab¬gehalten und nur durch andere berichten lassen."

In seiner Notlage wendet er sich schließlich an den Preußischen Oberland-Drost des Fürstentums Minden und erzählt ihm alles. Der ist ein Mann, der Führer schätzt und ihm helfen will. So fährt er nach Nienburg. Dort sieht er sich die Brücke an und schreibt daraufhin an den Finanzminister in Hannover:

"Bei Ehr und Gewissen, ich kann an der Brücke nichts finden, als daß sie nicht bald fertig ist. . . . Wenn folgendes getan wird, . . . so kann künftigen Sommers die Brücke fertig werden und zwar so, daß sie viele Meilen Wegs nicht ihres Gleichen haben wird."

Aber der Brief macht keinen Eindruck. Er wandert in die Akten - und dabei bleibt es.

Inzwischen ist der Bericht des Ministeriums in den Händen des Königs. Er liest ihn durch und schreibt am 13./24. August 1717:
"Geld kann ich Euch nicht geben. Die Vorschläge des Lübecker Baumeister Petrini für die diesjährigen noch möglichen Brückenbauarbeiten kommen mir ganz passabel vor. Verwirklicht sie, soweit das Geld reicht. Im übrigen soll Petrini ein Gutachten über die weiteren Baukosten aufsetzen."

Der Brief enthält keinen Befehl Führer als Baumeister abzusetzen. Die "Affaire Führer" ist uninteressant.

Führer reist zum König nach England

Aber Johann Michael gibt nicht auf. "Wenn keine klare Entscheidung beim Ministerium zu erhalten ist, muß ich den König selbst aufsuchen. Es geht ja um meine Brücke, die in Gefahr ist. Die schönste Bauzeit verstreicht. Wenn nicht endlich etwas getan wird, ist der bisherige Brückenbau ernstlich gefährdet."

Aber nicht nur die Brücke liegt ihm am Herzen, sondern auch sein Ruf und sein Vermögen. Soviel eigenes und fremdes Geld hat er bereits in das Bauvorhaben gesteckt, daß er den völligen Ruin vor Augen hat, wenn er nicht wenigstens einen Teil der Gelder zurückerhält. Zuviel steht auf dem Spiel. So entschließt sich Johann Michael zur Reise nach England.

Es ist eine weite Reise, die viel Geld kostet. Etwa Ende August, Anfang September 1717 trifft er in Hampton Court ein und bittet um Audienz. Ob er dem König selber seine Sache vortragen durfte, läßt sich nicht sagen, aber sein umfangreiches Memorial bekommt der König zu Gesicht. In vorzüglicher Handschrift und in für damalige Zeit gutem Deutsch schildert Johann Michael:
"Eines muß ich aber frei heraus sagen, wenn der Bau nicht sofort vor dem herannahenden Winter ausgeführt wird, kann ich nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn das ganze Werk über den Haufen fällt und ein großes Unglück entsteht. In solcher Besorgnis bin ich ausdrücklich herüber gekommen, um Seiner Majestät die große Gefahr selbst vorstellig zu machen. Andererseits wollte ich bitten, dem Oberst von Welljen seine Kommission den Auftrag zu geben, nach den Regeln der Gerechtigkeit zu taxieren, welche Kosten die Schäden und die Vergrößerung der Brücke verursacht haben. Auch bitte ich, Ihren Geheimen Räten in Hannover zu befehlen, mich nach dieser Aufstellung zu befriedigen und die nötigen Kosten zum ferneren Bau anzuweisen.

Von dieser Reise hängt meiner armen Frau und Kindern und meine zeitliche Wohlfahrt ab. Denn wir sind verloren, wenn ich kein Recht und Gnade erhalte, denn an den Nienburger Brückenbau habe ich den letzten Heller verwandt und darüber hinaus große Schulden gemacht.

Da aber Seine Majestät noch keinen ungerecht behandelt und die Tränen der Elenden nicht auf sich geladen hat, bitte ich um Barmherzigkeit. . . ."

Voller Hoffnung fährt Johann Michael heim. Zumindest einen königlichen Befehl an das Ministerium in Hannover hat er erreicht, wovon er eine Abschrift mit sich trägt.

Und was befiehlt der König? Am 6./17. September 1717 schreibt Seine Majestät:
"Führer hat mir ein Memorial mit einer Kostenrechnung übergeben. Ich kann die Angelegenheit nicht beurteilen. Laßt deshalb durch Bausachverständige die Rechnung prüfen und ein Gutachten darüber erstatten. Was nur einigermaßen von seiner Rechnung recht und billig ist, soll Führer erhalten.

Im übrigen seht zu, daß an der Brücke nichts versäumt wird und berichtet mir, zu welchem Schluß die Bausachverständigen wegen dem weiteren Brückenbau gekommen sind."

Inzwischen hat das Ministerium die Bausachverständigen Borchmann, v. Welljen, Pauli und Petrini und später auch den holländischen Baumeister Alblas aufgeboten, sich zum bisherigen Brückenbau zu äußern. Sie sollen sich aber auch einigen, was in diesem Jahr noch getan werden muß.

Es ist nicht schwer, Johann Michael Baufehler nachzuweisen. 14 an der Zahl bekommen sie zusammen. Sind diese Fehler aber die Ursache für den Einsturz des Brückenbogens und für die weiteren Schäden?

Petrini meint, wenn der Bauriß eingehalten worden wäre, dann hätten die Flußbretter aller Gewalt widerstanden. Aber ob die schlechten Flußbretter den Bogen zum Einstürzen brachten, kann er nicht behaupten. Nicht abzustreiten ist aber, daß alle Schäden von dem über den Damm einbrechenden Strom herrührten.

Die Schuldfrage können die Herren nicht eindeutig lösen. Auch über die weiteren Maßnahmen sind sie sich nicht einig. Die Ansicht von Petrini stimmt nicht mit der von Alblas überein. Alles wird fein säuberlich zu Papier gebracht und dem König zugesandt. Da sich das Ministerium aber durch das Memorial von Johann Michael angegriffen fühlt, wird der Begleitbericht vom 28. September 1717 dazu benutzt, ihn gehörig ins schlechte Licht zu setzen. So ist zu lesen:
"Führer ist durch die Überschreitung der Bausumme kontraktbrüchig geworden. Geld hat er immer bekommen, wenn auch stets behutsam. Er hat auch in anderer Hinsicht den Kontrakt gebrochen und sogar Nienburger Beamte hintergangen. Alle Schäden der Brücke muß er verantworten und auch voll bezahlen. Die Brücke ist noch lange nicht fertig. Aber dieses Jahr läßt sich nur noch das Flußbett von Holz, Buschwerk und Steinen unter der Brücke säubern, die vom Einsturz des Brückenbogens herrühren. Für das nächste Jahr sollte Material bereitgestellt werden."

Gerechtigkeit wird Johann Michael nicht zuteil. Keinen Pfennig bekommt er. Dem Befehl des Königs ist der Geheime Rat zwar nahe gekommen, aber wie? Der König liest die Gutachten der Bausachverständigen, aber was soll er tun? Ist der Bauplan von Petrini richtig? Salomonisch entscheidet er am 9./10. Oktober 1717:
"Vorerst soll Petrini die Maurerarbeiten und Alblas die Zimmerarbeiten ausführen."

Schließlich einigen sich Petrini und Alblas und die Sicherungsarbeiten werden durchgeführt.

Johann Michael fährt inzwischen wieder nach Hannover und läßt in der Sache nicht locker. Aber völlig vergeblich sind seine Besuche. Er wird nur bei den untersten Stellen vorgelassen und abgefertigt. Schließlich schreibt er am 10. Dezember 1717 erneut an den König:
"Nachdem ich nun aus England zurück bin, habe ich in Hannover darauf gedrängt, daß der Befehl Seiner Majestät ausgeführt wird. Ich habe aber nur die Antwort bekommen, daß seiner Majestät berichtet worden sei, und nichts weiter geschehen kann, als bis Seine Majestät antworte und befehle. Ich bitte erneut flehentlich um Überprüfung meines Falles und meiner Rechnungen. Lassen Sie mich, der ich den Strom kenne, die Brücke zu Ende führen."

Der Brief ist erschütternd. So schreibt nur einer, der verzweifelt um Barmherzigkeit und Gerechtigkeit bittet.

Am 14. Dezember 1718 erhält auch der Geheime Rat in Hannover einen flehentlichen Brief:
"Es geht nicht nur um mein Vermögen und meine hohen Schulden, sondern, daß ich, der ich unschuldig bin, um Ehr und Reputation, welche ich doch bei diesem Brückenbau Tag und Nacht bei Fleiß und Lebensgefahr, Angst und Sorge angewandt, gebracht werde."

Der König schreibt wegen Johann Michael erneut an das Ministerium; das Ministerium antwortet am 15. Februar 1718:
"Wir erfahren, daß Führer sich untersteht, Seine Majestät weiter zu behelligen, um mit seinem unbefugten Lamentieren und unbegründeten Vorstellungen zu versuchen, daß man sich von neuem mit ihm einließe."

Kein gutes Haar lassen sie an ihm.
„An seinem Unglück ist Führer ganz allein selber schuld. Auch der holländische Schleusenmeister Metsma, ein erfahrener und vom Landgrafen zu Kassel erprobter Mann, bekundet, wie unverständig und unverantwortlich Führer gehandelt hat."

Der Bericht gipfelt in den Worten:
"Deshalb bitten wir Seine Majestät, sich nicht mit ihm einzulassen. Er versteht doch nichts von der Sache und hat immer "bona fide" gehandelt. Er hat bloß den eigenen Nutzen im Auge, indem er eine Absatzquelle für den bei Minden gepachteten Steinbruch suchte. Erneut kann Führer Seine Majestät hintergehen und erhebliche Kosten verursachen."


Der Bau geht weiter - ohne Johann Michael Führer

Dieser Brief hat den gewünschten Erfolg. Der König befiehlt am 21. Februar/4. März 1718:
"Führer ist abzuweisen. Mit der Brücke hat er nichts mehr zu schaffen. Führer soll froh sein, daß das Geld, was er über den Kontrakt hinaus erhalten hatte, nicht zurückgefordert wird, obwohl die Brücke nicht fertig ist. Auch soll er dankbar sein, daß wir uns an ihm nicht schadlos halten."

Inzwischen ist Johann Michael eine Tochter geboren worden. Am 17. März 1718 wird sie auf den Namen Dorothea Magdalena in der evangelisch-lutherischen St. Marienkirche in Minden getauft. Pate ist Margarete Magdalena Detlefsen, geb. Foerster, die 2. Frau des angesehenen und wohlhabenden Buchdruckereibesitzers Johann Detlefsen zu Minden.

Kurz vor der Geburt seiner Tochter schreibt Johann Michael am 8. März 1718 nochmals an den König. Der Brief ist noch eindringlicher und verzweifelter als der letzte. Erneut bittet er um eine Untersuchungskommission und das Recht, die Brücke zu Ende zu bauen:
" . . . denn es ist Euriger Königlichen Majestäts hohem Interesse vorteilhafter und dem Bau viel günstiger und auch billiger, daß der Anfänger davon daher folglich, das Wasser am besten kennt, den Bau zu Ende bringt."

Unterdessen sind Alblas und Petrini über den Weiterbau der Brücke noch immer nicht einig geworden. Petrini weigert sich, an der Brücke mitzuarbeiten, wenn nicht nach seinem Plan und unter seiner Leitung der Bau fort geführt wird. Um den Streit zu einem Ende zu bringen, soll der holländische Schleusenmeister Metsma als Unparteiischer sich zu den Plänen von Alblas und Petrini äußern. Metsma verwirft beide Pläne und arbeitet einen eigenen Vorschlag aus. Nun liegen drei Vorschläge vor. Der Geheime Rat weiß sich nicht zu einer Entscheidung aufzuraffen. So schickt er am 8. März 1718 dem König die drei Pläne mit einem Bericht.
"Da dieser Bau von besonderer Wichtigkeit ist, möge Seine Majestät entscheiden."
Aber der König fühlt sich überfordert und verlangt ein Gutachten zum Plan von Metsma.

Wir sehen, Johann Michael hatte schon recht, wenn er glaubt, daß es besser ist, wenn ein mit den Verhältnissen vertrauter Baumeister das Bauwerk vollendet. Die Baumeister - mit Ausnahme von Petrini - besprechen den Plan von Metsma. Er ist undurchführbar. Der Vorschlag von Alblas wird noch einmal erörtert und nach einigen kleinen Änderungen erscheint er der richtige und einzig durchführbare zu sein. So befiehlt das Ministerium, daß nach diesem Plan gearbeitet werden soll. Alblas und Borchmann sollen den Bau gemeinsam in diesem Jahr fortführen. Sommer ist es inzwischen geworden. Der Monat Juli steht vor der Tür. Endlich wird wieder an der Brücke gearbeitet, zu der Johann Michael alles Material bereitgelegt hat.

Um Johann Michael ist es still geworden. Vergeblich hat er sich um die Weiterführung der Bauarbeiten bemüht. Immer wieder ist er von Minden nach Hannover gefahren und hat beim Ministerium vorgesprochen, aber keine Antwort erhalten.

So richtet er am 27. Juli 1718 noch einmal an den König eine Bittschrift. Es ist ein langer Bericht, dem eine Kostenrechnung, eine Abschrift seines in England überreichten Memorials und eine Abschrift des Königlichen Befehls vom 6./17. September 1717 beiliegt. Er schreibt u.a.:
"Des Königs Befehl ist bisher nicht Folge geleistet worden. Trotz Fleiß, Mühe und unsäglichen Kosten konnte ich bislang nichts erreichen. Die Kommission ist nicht eingesetzt worden. Ich habe auch keinen schriftlichen oder mündlichen Bescheid erhalten, warum dies nicht geschehen ist. Ich bin in großer Not wegen dieser unglücklichen Sache, in die ich unverschuldet hineingelangte. Fast mein gesamtes Vermögen habe ich auf den Brückenbau verwendet und darüber hinaus noch Kapital geliehen. . . . Ich bitte nochmals um eine unparteiische Kommission, zu der ich aber bitte, auswärtige Leute zu nehmen. Wenn es geht, den Preußischen Generalmajor v. Both, . . (ein Bekannter aus Minden) . . den Generalmajor der Generalstaaten von Holland von Förschiner und Oberst von Welljen."

Acht Fragen stellt Johann Michael auf, die die Kommission untersuchen soll und die seine Unschuld, Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit erweisen sollen.

Er schließt mit den Worten:
"Ich glaube an die Justiz und an den König, Gott wird die Justizpflege mit Gnaden ansehen, worum ich und die Meinigen unaufhörlich seufzen wollen."

Am nächsten Tag, den 28. Juli 1718, bittet er schriftlich auch den Geheimen Rat, Reichsfreiherrn von Bernstorff um Fürsprache beim König.
"Ich getröste mich gnädigster Erhörung und verbleibe bis in mein Grab meines gnädigsten Herrn untertänigster und getreuer Knecht."

Kein Echo ist in den Akten zu finden.
Das nächste Schriftstück datiert erst aus dem Jahre 1725!

Johann Michael Führer gibt auf

Die schweren Jahre, die bedrückenden finanziellen Sorgen, die erlittene Ungerechtigkeit haben Johann Michael aufgerieben. Ohne seine Hilfe und Leitung wird die Brücke weitergebaut . Schon 1718 kann ein leichtes Fuhrwerk die Brücke passieren. Ein Zeichen dafür, wie weit er die Brücke schon gebaut hatte.

Da der König und das Ministerium schweigen, bringt Johann Michael seine Angelegenheit schließlich vor Gericht. Aber das Urteil erlebt er nicht mehr.

Am 12. Dezember 1720 schließt er für immer die Augen. Unter dem 15. Dezember 1720 findet sich folgender Eintrag im Sterberegister der St. Marienkirche zu Minden:

"Der Baumeister Führer hat ein 'verhoben Sarg', 'ohne Geläute." Dieser Satz könnte zu vielen Auslegungen Anlaß geben. Die Deutung, die vermutlich richtig ist, besagt:
Johann Michael erhält ein vornehmes Begräbnis. Sein Sarg hatte einen hohen dachartigen Deckel , wie er heute noch üblich ist.

Sicherlich haben Freunde der Witwe geholfen, diese standesgemäße Beerdigung zu ermöglichen. Denn wo soll sonst das Geld hergekommen sein?

Die Beerdigung wurde ohne Geläute, also im Stillen, vorgenommen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Johann Michael eines unnatürlichen Todes gestorben ist. Seine Witwe schreibt einmal von "tödtlichem Hintritt". Auch das "ohne Geläute" läßt auf Selbstmord schließen. Wir wissen es nicht.

Rückschauend ist zu sagen, daß die Nienburger Brücke, Johann Michaels größtes Werk, wohl über seine Kräfte gegangen ist. Seine Treuherzigkeit in juristischen Fragen, und sein in jedem Fall für das Brückenbauvorhaben zu niedrig angesetzter Kostenvoranschlag ließen ihn scheitern.

Seine technischen Fähigkeiten werden mit dem Brückenbau gewachsen sein, denn der Nachweis seiner Schuld an allen Unglücksfällen der Brücke konnte trotz des Vorwurfs von 14 Baufehlern allem Anschein nach nicht erbracht werden.

Behalten wir Johann Michael in Erinnerung als einen unternehmenden Geist von überdurchschnittlicher Bildung, dem seine Arbeit und sein Werk alles bedeuten. Als einen Mann, der nicht in erster Linie nach dem Nutzen fragte, sondern dem die Erfüllung einer Aufgabe mehr galt als geldlicher Gewinn. Aus dieser Haltung heraus neigte er auch zum Eigensinn. Aufrecht und gewissenhaft war er bestimmt, trotz aller Verleumdungen. Mit Advokaten und ihrer Arbeit befaßte er sich nur mit Widerstreben. Zum Bauen fühlte er sich berufen. Aber das Schicksal ließ ihn an seinem vermutlich größten Bauwerk scheitern.

Nach seinem Tode bleibt seine Familie fast ohne Mittel und mit hohen Schulden zurück. Der Prozeß läuft noch. Johann Michaels Witwe zieht nach Hannover, um auf den Fortgang des Prozesses so gut wie möglich, Einfluß zu nehmen. Die Kosten und Beschwerlichkeiten der Hin- und Her-Reisen von Minden nach Hannover versucht sie sich dadurch zu ersparen.

Ihre Kinder muß sie an Fremde in Kost zu dingen geben. Sie ahnt nicht, daß sich der Prozeß beinahe fünf Jahre hinziehen wird. Endlich fällt das Urteil des Ober- Appellationsgerichtes im Jahre 1725. 7.000 Taler werden ihr zugesprochen. Damit wird endlich, für Johann Michael aber zu spät, anerkannt, daß die Brückenvergrößerung Kosten verursachte, denen der Vertrag von 1714 nicht Rechnung getragen hat.

Aber dieses Geld reicht kaum aus, um die Gläubiger zu befriedigen. Johann Michael hatte die Kredite seiner Zeit (etwa 1716/1717) laut Königlich Preußischer Verordnung mit 6% p.a. verzinsen müssen. Seine Gläubiger waren: Wilhelm Heinrich von Dankelmann, ACE Kuhlmann Witwe, Clare Elisabeth Plume, Johann Detlefsen und Conrad Nobe, wie eine alte Urkunde ausweist. Seine Witwe bezahlt die Schulden einschließlich der fälligen Zinsen.

Von rechtskundigen Freunden beraten, wendet sie sich am 8. August 1725 an den König und bittet, ihr auch die Zinsen und weiteren Unkosten für die 7.000 Taler von dem Zeitpunkt an zu bezahlen, an dem Johann Michael der Auftrag abgenommen worden ist. Dieser Anspruch ist durchaus berechtigt, hatte doch das Gericht durch das Urteil die Hannoversche Regierung als Schuldner festgestellt.

Ob diesem Bittgesuch entsprochen worden ist, wissen wir nicht. Dieser Brief wurde von Johann Michaels Witwe eigenhändig unterschrieben und zeigt, wie energisch sie ihre Ansprüche, von ihren Freunden beraten, zu verfechten weiß.


Illustr. 4 Unterschrift der Witwe von Joh. Führer (1725), Staatsarchiv Hannover


Viel Not hat sie durchstehen müssen. Sie schreibt selber:
"Durch die Trennung von meinem Mann und meinen Aufenthalt in Hannover ist mein Hauswesen nicht allein gänzlich ruiniert, sondern auch meiner Gesundheit wegen vielen Grams eingebüßt."

Wann "Dorothea ?" Führer gestorben ist, liegt noch im Dunkeln. Auch, was aus ihren Kindern Johann Bernhard und Dorothea Magdalena geworden ist, blieb bisher unbekannt.
Über das Leben des Sohnes Friedrich Wilhelm wissen wir aber gut Bescheid. Seine Lebensbeschreibung geht über diesen Rahmen hinaus.

Abb. 4  NIENBURG 1766: Landkarte Nienburgs mit der steinernen Weserbrücke (vergrößerter Ausschnitt, Maßstab ca. 1:10.000) aus der Kurhannoverschen Landesaufnahme von 1766 durch das Kurhannoversche Ingenieurcorps

Das weitere Schicksal der Nienburger Weserbrücke

Zum Schluß sei noch etwas über die Nienburger Brücke berichtet, die so eng mit dem Schicksal von Johann Michael verbunden gewesen ist.

Die Brücke, die unter der Leitung von Alblas und Borchmann weitergebaut wurde, konnte erst 1723 dem Verkehr übergeben werden. Alblas und Borchmann waren nicht mehr an einen Vertrag gebunden wie Johann Michael. Der starke Strom der Weser, der von Anfang an so viele Schwierigkeiten verursachte, ließ auch die Baukosten immer höher steigen. Die Endsumme betrug schließlich 62.106 Taler 3 Groschen und 6 Pfennige. 14.533 Taler und 3 Groschen gab die Königliche Rentkammer, 42.572 Taler und 3 Groschen die Kriegskasse und 5.000 Taler freiwillig die Grafschaft Hoya.

Es ist immerhin dies eine geringe Summe gegen die Kosten eines solchen Baues zur heutigen Zeit; es ist aber nicht ausgeschlossen, daß die Landgemeinden "Herrendienste" geleistet haben, die nicht mitgerechnet worden sind.

Abb. 5 Der zeitgenössische englische Stich zeigt die Nordseite der Brücke nach der Sprengung am 15. Oktober 1813 durch die abrückenden Franzosen; der durch hölzernes Sprengwerk provisorisch reparierte Mittelbogen ist zu erkennen.

Die ersten Reparaturarbeiten an der Brücke fielen bereits im Jahre 1727 an. In der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1813 sprengten die Franzosen auf dem Rückzug vom linken Weserufer her den mittelsten Brückenbogen mit Zündschnur und Pulver.

Die Verbindung über die Weser war unterbrochen, wenn auch nur der Bogen einstürzte und die dazugehörigen Pfeiler beschädigt wurden. Doch bald, bereits im April 1814, konnte ein hölzernes Sprengwerk gesetzt werden und die Brücke ist wieder zu überqueren.

In den Jahren 1827/28 wurde der mittelste Bogen erneut in Stein ausgeführt .


Abb. 5 Foto der in den Jahren 1827/28 endgültig in Stein wieder instandgesetzten Brücke


Unversehrt stand die Brücke bis 1905/06. In diesem Jahr wurde sie schließlich abgebrochen, weil der Schiffs- und Straßenverkehr durch sie behindert wurde. Fast 200 Jahre war sie ein Bindeglied zwischen Ost und West gewesen. Nördlich der Stadt wurden inzwischen je eine Brücke für die Eisenbahn und den Straßenverkehr errichtet.



Abb. 7 NIENBURG 1899: Der Kartenausschnitt aus dem preussischen Meßtischblatt (vergrößert, Maßstab ca. 1:10.000) zeigt die Nienburger Altstadt und die westliche Vorstadt. Sie läßt eindeutig den Straßenverlauf und die steinerne Weserbrücke und deren Pfeiler erkennen.

An der Stelle der alten steinernen Brücke errichtete man für Fußgänger eine eiserne Hängebrücke. Aber auch sie steht nicht mehr. Sie fiel dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Wieder strömt die Weser mit unverminderter Kraft an der Stelle der ehemaligen Steinbrücke vorbei.

Nur die Mauern der beiden Brückenlager an den Ufern waren noch zu erkennen.


Abb. 8 Foto der Mauern des westlichen, stadtabgewandten Widerlagers der steinernen Weserbrücke mit später aufgebautem Gartenhäuschen (aufgenommen 1958 durch den Verfasser)


Abb. 9 NIENBURG 1996: Der Kartenausschnitt aus dem aktuellen Meßtischblatt (vergrößert, Maßstab ca. 10.000) zeigt Nienburg mit der Altstadt und der westlichen Vorstadt. Die Karte läßt eindeutig den alten Verlauf der Ausfallstraße nach Bremen und die Brückenrampen erkennen


Neue Planungen der Stadt Nienburg (seit 1993) waren schließlich erfolgreich. Eine neue Fußgängerbrücke wurde auf Wunsch der Bevölkerung schließlich wieder errichtet und überspannt die Weser an historischer Stelle.

Die von Johann Michael Führer errichteten alten Brückenwiderlager wurden verwendet. Sie bieten auch heute noch der neuen Stahlkonstruktion Halt.

Illustr. 10 NIENBURG 2005 Die neue Fußgängerbrücke ruht auf den Brückernfundamenten, die von Johann Michael Führer erbaut wurden. Das Bild wurde aufgenommen von Peter Josepeit, Nienburg.

Auf diese Weise trotzen Teile der von unserem Ahnherrn errichteten steinernen Brücke auch weiter den Zeiten.

Nachtrag zur 2. Auflage

Seit der ersten Auflage sind fast vierzig Jahre verstrichen. Die Forschung hat in diesem Zeitraum nicht geruht. Sie war aber unterschiedlich intensiv, je nachdem, ob ein Einzelziel erkannt war, das sich mit vertretbarem Aufwand vielleicht erreichen ließ. Eine Forschung verlangt Initiative, Phantasie, Zeit und Geld. Sie ist darüber hinaus erschwert durch die abnehmende Bereitschaft der angeschriebenen Stellen und Einzelpersonen, sich ihrerseits zu engagieren. Denn auch von ihnen erwartet man den Aufwand von Fleiß, eine gewisse Kombinationsgabe und das Entgegenkommen, mitzumachen.

Die Forschung konzentrierte sich auf verschiedene Kernfragen. Diese waren und sind:

Die Herkunft von Johann Michael Führer und die seiner Familie, sein Lebenslauf von der Geburt bis zu seinem Zuzug nach Minden im Preußischen Herzogtum Minden und auf den Lebensweg seiner Frau und ihrer drei Kinder. Dabei mußte versucht werden, die Frage zu lösen, welchen Mädchenname seine Frau hatte.

Der Verfasser ist dabei leider nicht weitergekommen. Es ist ihm so gegangen, wie den verschiedenen Verwandten älterer Generationen. Die Forschungsakte "Johann Michael Führer" beginnt im Jahre 1900 und hat inzwischen eine Stärke von rund 4 cm, dabei ist gewiß nicht alles abgeheftet worden.

Die Suche nach der Herkunft von Johann Michael Führer konzentrierte sich auf gleiche Namensvorkommen mit oder notfalls ohne die Vornamen Johann Michael, in dem Zeitraum 1670 bis 1720. Die Auswertung ergab zwei Schwerpunkte außerhalb Deutschlands, und zwar der Kanton St. Gallen in der Schweiz und das katholische Bistum Salzburg. Aus beiden Gebieten, deren Bürger entweder evangelisch oder katholisch waren, gab es Flüchtlingsströme ins Ausland. Hierbei überwog als Aufnahmeland Preußen, insbesondere Ostpreußen.

Aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse waren Grund zur Auswanderung gewesen. Bei den Auswanderern handelte es sich um Bauern und viel seltener um Handwerker. Im Kanton St. Gallen kamen sie aus Orten wie Sax und Toggenburg. Die verfolgten Spuren verliefen im Sand oder erwiesen sich als falsch, weil hier und da auch Katholiken dabei waren, die ausschieden, weil unser Johann Michael nachweislich evangelisch-reformiert war.

Andere Schwerpunkte des Namens Fü(h)rer in Deutschland, der so selten gar nicht ist, ergaben sich im Kurhessischen, im Raum Mühlhausen/Thüringen, im Ostharz und z.B. auch in Medebach im Sauerland. Die personenbezogene Einzelsuche war bisher leider ergebnislos.

Ein anderer Weg war, nach Johann Michaels Ausbildung zu fragen, um auf diesem Weg vielleicht seiner Herkunft näher zu kommen. Sein Bildungsstand war der eines Ingenieurs und eines Entrepreneurs, eines Unternehmers, als den wir ihn als Brückenbaumeister und Steinbruchsbesitzer um 1711 kennenlernen. Er war also kein Handwerker und besaß, wenn auch nicht eine universitäre, aber eine gute Allgemeinbildung und gewiß seinem Beruf entsprechende Umgangsformen.

Die Zeit nach dem dreißigjährigen Krieg war eine Zeit des Umbruchs. Das gilt auch für das Ausbildungswesen. Ingenieurschulen in unserem heutigen Sinne gab es nicht. Eine handwerkliche Ausbildung hingegen reichte für den Beruf eines Baumeisters oder gar eines Brückenbaumeisters gewiß nicht aus. Sieht man sich die Lebensläufe bedeutender Baumeister des Barock an, wie z.B. von Balthasar Neumann, Daniel Pöppelmann, Johann Conrad Schlaun und Andreas Schlüter, so erkennt man drei Ausbildungswege:

Der eine lief über das Militärwesen und dort über die sogenannten Ingenieurkorps. Der andere erfolgte bei der staatlichen Bauverwaltung im Dienst eines Landbaumeisters, der dritte im Arbeitsverhältnis bei einem Baumeister, bei einem Architekten, der zumeist als Unternehmer (Entrepreneur) auftrat, der sich bei großen Bauvorhaben um die Bauleitung oder - Durchführung bewarb. Es hat den Eindruck, als ob Johann Michael Führer zwei dieser Wege beschritt und zwar den ersten und den dritten. Er ist dabei vermutlich in Norddeutschland und in den Niederlanden herumgekommen und hat dabei ein breites Wissen und viel Erfahrung gesammelt. Vielleicht hat er sich dabei im preußischen Ingenieurwesen Freunde und gute Bekannte erworben. Es ist jedenfalls erstaunlich, wie sehr die leitenden hohen Offiziere und Beamte im Herzogtum Minden, die der Regierung angehörten, ihn immer bei der preußischen Zentralregierung in Cölln - Minister von Ilgen unterstützten.

Daß Johann Michael, der sich um den Posten eines Landbaumeisters des Herzogtums Minden und der Grafschaft Ravensberg bemühte - im Januar/Februar 1713 - keinen Erfolg hatte, lag nicht an ihm. Wie so oft bei staatlichen Stellen war bei diesen Posten im Personaletat kein Geld da. Auch vertrat die Regierung in Minden, der sich Minister v. Ilgen anschloß, daß nicht genügend königliche Bauten vorhanden seien, die eines Landbaumeisters bedurften. Deshalb wurde Führer an den Magdeburgischen Brückenbau verwiesen, bei dem man sich mehr Chancen für ihn versprach.

Es scheint so, daß er da kein Unbekannter war. Führer war aber damals bereits seit mindestens vier Jahren ein freier Unternehmer. Er betrieb Steinbrüche an der Porta Westfalica bei Haue Berge. Dort standen im Jura Sandsteine an, und Vorkommen von Kalkstein sollen auch vorhanden gewesen sein, die gebrannt einen guten Zement versprachen. Er hatte also sein Auskommen und war einer, den die Wirtschaft brauchte. Als Baumeister hatte er durch seine Steinbrüche für sich eine Absatzquelle geschaffen.

So blieb er in Minden, wo er kein Bürger war, da er dem preußischen Staatsdienst zugerechnet wurde. Er war ein Zugereister. Sein Ausbildungsweg läßt sich nicht ganz von seiner Konfession trennen. Er gehörte wie die brandenburgischen Hohenzollern zum evangelisch-reformierten Bekenntnis. So kann man sich schwer vorstellen, daß er in katholischen Landesteilen längere Zeit tätig war.

Seine Heirat muß in den Jahren 1711 bis 1713 erfolgt sein, allerdings nicht in Minden. Seine Frau stammte nicht dort her. Sie war evangelisch-lutherischen Bekenntnisses, und für sie wie für Johann Michael dürfte es die erste Ehe gewesen sein. Hinweise, die dagegen sprechen, gibt es nicht. Es gibt nur eine Unterschrift von ihr in den Akten und zwar aus dem Jahre 1725. Nach dem Tode ihres Mannes, am 12. Dezember 1720, unterschrieb sie etwas ungelenk und fehlerhaft mit "Witwe Führer".

So sind wir hinsichtlich ihres vollen Mädchennamens auf Vermutungen angewiesen. Ihr Vorname dürfte "Dorothea" gewesen sein. Hierfür sprechen die Taufurkunden/-einträge der nachfolgenden Personen: Sowohl ihre, als auch Johann Michaels Tochter Dorothea Magdalena, getauft am 17. März 1718 in St. Marien zu Minden, ihre Enkeltochter vom ersten Sohn Friedrich Wilhelm, geboren am 16. Mai 1750 in Felsberg: Marie Karoline Dorothea, sowie die Tochter des Druckers und Verlegers Johann Detleffsen geboren 1678 in Stade und seiner 2. Ehefrau: Margaretha Magdalena, geb. Foerster, erhielt bei der Taufe am 4. Juni 1716 in St. Martin in Minden den Vornamen: Anna Dorothea.

Patin war allerdings nicht die Frau von Johann Michael Führer, der damals mit der Familie in Nienburg lebte. Bei allen drei Urkunden fällt der Vorname "Dorothea" auf, der, wie in der damaligen Zeit üblich, im Namen nach den Verwandtschaftsverhältnissen geordnet wurde. Mit dem Familiennamen war es wesentlich schwieriger.

Lange Zeit wurde angenommen, daß er Detleffsen gehießen haben muß. So galt es, die Nachkommentafel der bekannten Drucker- und Verlegerfamilie Detleffsen aus Stade durchzusehen. Detlef Detleffsen, geboren 1642 in Stade, gestorben 1726 in Braunschweig, war Drucker. Verheiratet war er mit Abel, geb. Suhren. Aus dieser Ehe stammen Kinder, darunter Johann Detleffsen, geboren 1678 in Stade, gestorben 1727 in Minden, und die Tochter Anna, getauft am 8. Juni 1683 in Stade. Nur diese eine Schwester von Johann kam eventuell als Frau von Johann Michael Führer in Betracht.

Doch weder in Braunschweig, wohin ihre Familie Ende des 17. Jahrhunderts zog, um einen neuen Verlag und eine bedeutende Druckerei aufzumachen, noch in Minden gab es urkundliche Hinweise auf Anna Detleffsen. Die Tatsache, daß das junge Ehepaar Führer nach seinem Zuzug in Minden um 1710 dort wenig bekannt war und auch eine Verbindung zur Familie des Verlegers Johann Detleffsen, die dort seit ca. 1700 ansässig war, erst nach 1715 deutlich wird, läßt kaum verwandtschaftliche Verbindungen unter den beiden Familien zu.

Auffällig ist auch, daß Johann Michael und seine Frau für ihren ersten Sohn (* 1714) den Namen des regierenden Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm wählten. Auch Patenämter übernahmen Johann Michael oder seine Frau erst ab 1715, wobei die beiden Familien der zu taufenden Kinder nicht dem alteingesessenen Bürgertum zugehörten.

Der Verfasser hat leider kein Argument mehr, an der Hypothese festzuhalten, Johann Michaels Frau sei eine Detleffsen gewesen. Die beiden Familien waren eng befreundet, aber nicht mehr.

So führten die Nachforschungen über Name und Herkunft von Johann Michaels Frau zu keinem Ergebnis. Auch aus der Umgebung von Minden, z.B. Hausberge, oder aus Hannover stammt sie nicht.

Nach 1725 verliert sich jede Spur von ihr. Leider ist das genauso bei den beiden Kindern Johann Bernhard und Dorothea Magdalena (* 1716 bzw. * 1718). Wir wissen nur, daß ihre Jugend nicht leicht war, weil Johann Michaels Witwe in den Jahren ihres Prozesses gegen das hannoversche Ministerium ihre Kinder bei Freunden und Bekannten in Kost geben mußte, um in Hannover den Prozeß zu führen.

Über den Prozeß ließen sich in Hannover oder Celle keine weiteren Akten finden. Sie sind in den Kriegswirren des Zweiten Weltkrieges verbrannt oder in früheren Jahren der Ausmusterung zum Opfer gefallen. Ein Gelegenheitsfund ist noch bemerkenswert. Liest man das "Vaterländische Archive" von 1822, erster Band, von Spiel und Spangenberg, Verlag Herold und Wahlstab, Lüneburg, so trifft man ab Seite 282 auf die Baugeschichte der steinernen Weserbrücke bei Nienburg. In dieser sachlichen Darstellung, der wohl die Akten des heutigen Staatsarchivs in Hannover zugrunde lagen, kommt der Verfasser zu dem Urteil:
„Führer ist nach dem, was sich findet, ein Mann gewesen, der, wenngleich nicht glücklich im Erfolg, doch dem Unternehmen - dem Brückenbau - gewachsen war.“

So waren langjährige Forschungsarbeiten nicht erfolgreich gewesen. Wir kennen nun manche Irrwege, aber die erhofften Ziele wurden bisher nicht erreicht.

Goslar im November 1997

Gotthard Fürer

Quellenverzeichnis


1. Eintragungen in den Kirchenbüchern von Minden und Nienburg
2. Akte XXXI Nr. II 8 Des 92 des hannoverschen Staatsarchivs
3. Akten des Preußischen Geheimen Staatsarchivs Rep. 114; 32.47, 32.15
4. Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde, herausgegeben vom Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens 41 Band Münster i.W. 1883, 2. Abteilung S. 129
5. Beschreibung der Grafschaft Hoya und Diepholz v. H. Gade, Nienburg/Weser, Verlag v. J. Hoffmann u. Co. 1901
6. Bildmaterial aus dem Museum der Grafschaft Hoya und Diepholz, wie auch Bilder des Verfassers
7. "Friedrich Wilhelm Führer, ein Leben in Unruhe", von Justus Fürer, Verlag C.F. Beisel Nachf., Heidelberg 1906
8. Rückfragen bei Archiven etc.

Quellen des Nachtrages
Veröffentlichung eines Vortrages, gehalten vom Verfasser am 26.02.1963 in Kassel, über den Brückenbaumeister Johann Michael Führer, erschienen in der Hessischen Familienkunde, 1963

Schriftwechsel mit den Staatsarchiven in Hannover, Wolfen¬büttel, Magdeburg, Berlin-Dalem und Münster; mit den Stadtarchiven von Minden, Sulingen, Hausberge, Hannover, Braunschweig, Hamburg und Stade, sowie Stiftsarchiv von St. Gallen, Schweiz; dem Salzburger Verein und mit verschiedenen Genealogen.